The Kitchen of Smiles
Brigitte Woman
Boi Tran ist nicht nur eine bekannte vietnamesische Künstlerin und Gartenarcgutektin, sondern auch eine begnadete Kochin. Wer in ihrem Gastehaus bewirtet wird, lernt viel uber das Leben. Bei Boi Tran in der alten vietnamesischen Kaiserstadt Huê empfangen zu werden ist ein Vergnügen und ein Genuss.
Auf der Brücke über dem Strom namens "Fluss der Wohlgerüche" herrscht dichter Verkehr. Rikschafahrer, Uralt-Laster, Busse und unzahlige Mopeds, mit denen erstaunliche Mengen von Waren tranportiert werden. Viele Frauen lassen sich im Damensitz durch die vietnamesische Stadt Huế kutschieren, die meisten mit Handschuhen, in hochgeschlossenen Jacken. Helle Haut ist in Vietnam seit jeher das Schonheitsideal, und ganz besonders gilt das für Hue.
Die alte Kaiserresidenz sei besonders konservativ, heißt es. Und vielleicht ist es kein Zufall, dass hier die Heimat von Boi Tran ist. Einer Frau, die Gegenwart und Tradition vereint - in ihrer Arbeit als Köchin, Künstlerin und Architektin. Die Küche von Huê gilt als die beste des Landes. Einer Legende zufolge weigerten sich die einstigen Herrscher, ein Gericht öfter als einmal im Jahr zu essen. Die Hof-Köche kombinierten deshalb die Zutaten stets zu neuen Kreationen in dekorativ angerichteten Miniatur portionen. Noch heute ist diese Esskultur typisch für das Leben in Hue, und Boi Tran ist eine Botschafterin dieser Kultur.
Über der Stadt erhebt sich ein Hügel, darauf liegt ein Garten, der früher den Namen "Königlicher Garten" trug. Hinter hohen umrankten Mauern und einem imposanten Holztor hat die Künstlerin hier eine verwunschene Welt aus Lotusteichen, Bambushainen und kunstvollen Bauten geschaffen. Ein schmaler Weg, gesäumt von Frangipani-Bäumen, mäandert vorbei an einem antiken Holzkloster bis zu einer Treppe, die zu einer Villa hinaufführt, auf deren Veranda Boi Tran selbst uns empfängt. Madame trägt einen seidenen Ao Dai, jene traditionelle Kombination aus weit geschnittenen Hosen und einem engen geschlityten Überkleid, das die vietnamesischen Frauen so unerhört elegant erscheinen lässt.
Boi Tran weiß perfekt zu inszenieren, nicht zuletzt sich selbst: Alles, was man hier sieht, hat sie sich erarbeitet. Das Haus hat sie eigenhändig entworfen, ebenso wie den Garten. Die antiken Holzbauten, die den Garten schmücken, sammelte sie in anderen Landesteilen und ließ sie hier wieder aufbauen: "Die Leute haben gesagt, ich sei verrückt. Schließlich habe ich nie gelernt, als Architektin zu arbeiten. Aber ichhabe mir ein paar Handwerker genommen und einfach angefangen. "Heute betreut sie große Gartenprojekte, außerdem hat sie ein Atelier, und sie betreibt hier ihr Restaurant, in dem sie die Kochtradition Huês pflegt. Ohne Arbeit, so sagt sie, würde sie schwermütig. Erst später erfahren wir, was sie damit meint.
Am nächsten Morgen um fünf, es ist noch dunkel, lernen wir eine gans andere Boi Tran kenne. Die elegante Dame von gestern stapft heute in Hosen und Gummistiefeln über den Markt, bahnt sich energisch ihren Weg durch ein Gewirr aus matschigen Gängen, beleuchtet von Scheinwerfern und Neonleuchten, durch das mit lauten Rufen Karren geschoben werden, die mit Körben voller Garnelen, Obst, Gemüse oder Blumen beladen sind. Glitschige Katzenfische, eingelegte Bambussprossen in großen Plastikwannen, Frösche. Und mittendrin Boi Tran, die mit den Händlern feilscht und lacht, ihrer Assistentin einen Arm voller Blumen in die Hand drückt, Tüten mit Gemüse oder Garnelen. Sorgfältig untersucht sie die Fische und klappt die Kiemen mit einem Bambusstäbchen um. "Die Augen müssen klar sein und die Kiemen noch rosa. Dann sind sie frisch." Auch bei Obst und Gemüse ist sie wählerisch. Selbstbewusst greift sie nach einem Büschel Minye, um daran zu riechen, ein Korb Erdbeeren trifft nicht ihren Geschmack, der Händler muss ihn zurücknehmen. "Zulange gelagert", befindet sie, nachdem sie eine probiert har, "kein Aroma mehr". Den richtigen Reifegrad einer Mango erkennt sie durch sanften Daumendruck. Doch bevor Boi Tran einen ganzen Korb mitnimmt, lässt sie sich eine Frucht aufschneiden." Ein perfektes Orange, "strahlt sie", "und keine dunklen Stellen. An der Schnittfäche muss ein wenig Saft austreten, dann sind sie süß, aber nicht überreif."
Kochen ist für Boi Tran mehr als nur ein Beruf. Es ist auch mehr als eine Leidenschaft. Esist Teil ihres Lebens und zugleich ihre Art, das Leben yu bewältigen.
Als junge Frau erlebte sie den fast 20 Jahre währenden Vietnamkrieg, der 1975 endete. Damals stand sie - Tochter einer einst wohlhabenden königsnahen Familie aus dem Süden - vor dem Nichts, nachdem das kommunistische Nordvietnam über Südvietnam gesiegt hatte. "Ich weiß, wie es sich anfühlt, Hunger yu haben. Ich weiß, wie es sich anfßhlt, Hunger zu haben. Ich weiß, was Armut und Tod bedeuten. Das sind keine bloßen Ideen fßr mich, ich fühle das tief inmir drin. Ich habe nach dem Krieg gerade mal 38 Kilo gewogen und nichts yu essen gehabt."
Boi Tran spricht nicht gern über diese Zeit. Wenn man sie fragt, wie es ihr gelungen ist, sich aus der Armut zu befreien, antwortet sie nur: "Ich habe immer gekocht. Essen war meine Leidenschaft. Weil wir im Krieg nichts hatten." Hinter diesen mageren Sätzen steckt eine bemerkenswerte Biografie. Eine Frau, die sich eine eigene Existenzaufbaut, sehr erfolgreich ist, sich gar scheiden lässt, wie Boi Tran das tat, ist in Vietnam ungewöhnlich. "Mein Leben", sagt Boi Tran, "war ein wengi schwierig, um es vorsichtig auszudrücken".
Vor einigen Jahren folgte dann der schlimmste Schicksalsschlag. Ihr erwachsener Sohn ertrank, nachdem er mehrere Kinder bei einem Unfall aus dem Fluss gerettet hatte. Für ihn hat sie einen Schrein errichtet. Große Bodenvasen mit gelben Chrysanthemen umrahmen eine Art Altar mit Familienfotos. "Die vietnamesischen Frauen sind sehr zäh, aber man muss immer hinter das Lächeln sehen", sagt Boi Tran.
Ihr Garten ist wie dieses Lächeln. Ein Wunder aus Farben und Düften, hier wachsen auch die Gewürze, die Boi Tran für ihre herrliche Küche verwendet: Koriander, Pfeffer, Zitronengras, Kaffirlimette. Gleich hinter den Beeten steht Boi Trans Atelier. Als einzige Schülerin des berühmten Malers Nguyen Trung hat sie auch in der Kunst ihren Stil entwickelt. Manchmal arbeitet sie 15 Stunden, in denen sie alles im sich herum vergisst, erzählt sie. Dieses Meditative ist ein Aspekt ihrer Trauerbewältigung, ein anderer sind die Motive: Immer wieder findet man Frauenfiguren, die zwei Kinder an der Hand halten.
Boi Tran hat noch eine Tochter. Sie wohnt in den USA, wo sie eine eigene Familie gegründet hat. "Ich verbringe oft ein paar Monate in den USA, und jedes Mal, wenn ich zurückkomme, fehlen mir meine Tochter und meine kleine Enkelin. Aber ich habe hier noch viel zu tun. "30 Angestellte arbeiten für Boi Tran, auch für diese Menschen ist sie verantwortlich. Für die meisten Frauen in Vietnam ist die Familie das Wichtigste, und Essen spielt mi Zusammenleben eine bedeutende Role. Und weil ihre Familie nun mal im Ausland lebt, kocht Boi Tran mit derselben Liebe für ihre Gäste. "Für mich ist Kochen keine Arbeit, sondern ein reines Vergnügen", sagt sie, während sie feine Netze aus Reispapier ausbreitet, in die sie geschickt die Zutaten für ihre winzigen Frühlingsrollen wickelt. Boi Tran kocht für uns.
Frühlingsrollen wickelt. Boi Tran kocht für uns. Frühlingsrollen sind so etwas wie das Nationalgericht Vietnams, sie werden roh, gebraten oder frittiert gegessen. Die Füllungen sind regional und saisonal unterschiedlich. Man brät sie nur kurz, aber sehr heiß, so werden sie außen knusp- rig, innen garen sie schonend. Das ist wichtig, um das Aroma der vielen Kräuter zu schützen. "Eigentlich ist die vietnamesische Küche recht einfach", erklärt Boi Tran." In Huê haben wir auch einen französischen Einfluss, der aus der Kolonialzeit kommt. ManchKolonialzeit kommt. Manchmal benutze ich sogar Käse, den es in der asiatischen Küche eigentlich nicht gibt, um Soßen damit zu verfeinern. Ich mische die traditionelle Rezepte meiner Familie mit meinen eigenen Ideen."
Dass sie es liebt zu experimentieren, sieht man, wenn sie Soßen abschmeckt. Hier wird etwas weggenommen, dort etwashinzugefügt, es ist, als male sie ein Bild. Viele Kräuter kommenerst nach dem Kochen hinzu. "Dann werden sie nicht mat- schig oder bitter und behalten ihr Aroma", erklärt Boi Tran, während sie mit einem Beil einen Stängel Zitronengras platt klopft. Ganz einfach wirkt das alles, sichere, fließende Bewegungen, graziös wie ein Tanz, bei dem Boi Tran lächeln und sich unterhalten kann. Ein paar Handgriffe, mit denen sie die Zutaten zusammenfügt, dann legt sie sorgfältig die beiden Garnelen in die Suppe und sagt sanft: "Probieren Sie." Wir sitzen auf der Veranda, während wir essen. Wir schmecken Gegensätze und Harmonie, alles ist verschieden, alles gehört zusammen. Wir hören die Grillen zirpen und die Frösche mi Lotusteich quaken, der Volmond verleiht allen Dingen einen langen Schatten, und für einen Moment kommt esuns vor, als sei die Welt von Boi Tran ein Puzzle, dessen letztes Teilchen wir eben gefunden haben.
Boi Tran is not only a renowned Vietnamese artist and garden architect but also a gifted cook. Guests who are welcomed into their guesthouse leave with invaluable life lessons. Experiencing Boi Tran's hospitality in the historic Vietnamese imperial city of Huê is both a pleasure and a delight.
Heavy traffic flows across the bridge spanning the "River of Fragrances," where rickshaw drivers, vintage trucks, buses, and countless mopeds navigate the bustling scene, transporting impressive quantities of goods. In the city of Huế, many women ride in traditional ladies' seats, often dressed in gloves and high-necked jackets. The preference for fair skin as the ideal of beauty is deeply rooted in Vietnamese culture, particularly in Huế.
The old imperial residence is often regarded as particularly conservative, and it may be no coincidence that it is the home of Boi Tran—a woman who beautifully intertwines tradition with modernity in her roles as a cook, artist, and architect. Huế's cuisine is celebrated as the finest in the country; legend has it that the former rulers would eat a dish no more than once a year. To accommodate this, court chefs skillfully combined ingredients to create new, artfully arranged miniature portions. This culinary tradition remains a hallmark of life in Huế, with Boi Tran serving as a vibrant ambassador of this rich culture.
A hill rises above the city, crowned by a garden once known as the "Royal Garden." Behind high, entwined walls and an imposing wooden gate, Boi Tran has crafted an enchanting realm of lotus ponds, bamboo groves, and artistic structures. A narrow path, lined with frangipani trees, winds its way past an ancient wooden monastery to a staircase that leads to a villa, where Boi Tran herself graciously welcomes us. Clad in a silk ao dai—the traditional outfit of wide-cut trousers paired with a fitted, elegant overdress—she embodies the grace of Vietnamese femininity.
Boi Tran has a remarkable talent for presentation, and everything we see around us is a testament to her creativity. She designed the house and the garden herself, collecting antique wooden buildings from various parts of the country and reconstructing them here. "People called me crazy," she recalls, "since I never trained as an architect. But I gathered a few craftsmen and just began." Today, she oversees extensive garden projects, maintains a studio, and runs a restaurant that celebrates the culinary traditions of Huế. "Without work," she says, "I would become melancholic." Only later do we come to understand the depth of her sentiment.
At five o’clock the next morning, still shrouded in darkness, we encounter a different side of Boi Tran. The elegant woman from the previous day now traverses the bustling market in trousers and rubber boots, energetically navigating a maze of muddy paths illuminated by neon lights. Carts laden with shrimp, fruits, vegetables, and flowers are pushed through the lively crowd, accompanied by the sounds of spirited bargaining. In the midst of this vibrant scene, Boi Tran engages with vendors, cheerfully haggling while handing her assistant bundles of flowers and bags of vegetables. She inspects fish meticulously, folding the gills with a bamboo stick. "The eyes should be clear and the gills pink; that’s how you know they’re fresh." She is equally discerning with fruits and vegetables, sniffing a bunch of mints and rejecting a basket of strawberries. "Stored too long," she explains, "they’ve lost their aroma." With a gentle press of her thumb, she determines the ripeness of a mango, ensuring that each piece meets her exacting standards.
For Boi Tran, cooking transcends mere profession; it is woven into the fabric of her life and serves as her means of navigating existence. As a young woman, she lived through the Vietnam War, which lasted nearly two decades and ended in 1975. The daughter of a once-affluent family close to the royal lineage, she faced the harsh realities of poverty after the fall of South Vietnam. "I know hunger," she says simply. "I know what poverty and death mean. These are not abstract concepts for me; they are deeply felt realities. After the war, I weighed just 38 kilos and had nothing to eat."
Boi Tran prefers not to dwell on those times. When asked how she escaped poverty, she replies, "I always cooked. Food was my passion, especially during the war." Behind her understated words lies a remarkable story of resilience. In Vietnam, a woman who builds her own life and finds success challenges societal norms and even divorces, as Boi Tran did. "My life," she reflects, "was a little difficult, to put it mildly."
A few years ago, tragedy struck when her adult son drowned while saving several children from an accident. She has since built a shrine for him, adorned with large vases of yellow chrysanthemums framing an altar of family photos. "Vietnamese women are strong, but you must always look beyond the smile," she shares.
Her garden mirrors that smile, a vibrant tapestry of colours and scents where the spices for her exquisite dishes flourish: coriander, pepper, lemongrass, and kaffir lime. Just behind the flowerbeds lies her studio, where she honed her artistic skills as the only student of the renowned painter Nguyen Trung. In her art, she has cultivated a unique style, often working for 15 hours straight, losing herself in the process. This meditative approach is one way she copes with her grief; her motifs frequently feature female figures holding two children by the hand.
Boi Tran also has a daughter living in the United States, where she has started her own family. "I often spend a few months in the U.S., and each time I return, I miss my daughter and granddaughter. But I have much to accomplish here." With 30 employees under her care, she feels a strong sense of responsibility. In Vietnamese culture, family is paramount, and food plays a vital role in togetherness. Because her own family resides abroad, Boi Tran cooks for her guests with the same love she would for them. "For me, cooking is not work; it is pure joy," she says, deftly spreading rice paper to wrap the ingredients for her tiny spring rolls.
Spring rolls are akin to a national dish in Vietnam, enjoyed raw, fried, or deep-fried, with fillings varying by region and season. Boi Tran briefly fries them at high heat to ensure a crispy exterior while keeping the interior tender, preserving the vibrant aromas of the herbs. "Vietnamese cuisine is quite simple," she explains. "In Huế, we also have a French influence from the colonial period. Sometimes, I even use cheese to enhance sauces, a rarity in Asian cooking. I blend my family’s traditional recipes with my ideas."
Her love for experimentation is evident as she tastes her sauces, adding and adjusting ingredients as if she were painting a canvas. Many herbs are added only after cooking to prevent them from becoming mushy or bitter, ensuring their flavours remain intact. With fluid, graceful movements, Boi Tran transforms the kitchen into a dance, effortlessly smiling and chatting as she prepares her dishes. She combines the ingredients with care, then gently places two prawns in the soup, saying softly, "Try it."
As we sit on the veranda savouring our meal, we experience a harmonious blend of contrasts; each bite tells a different story, yet they all belong together. The sounds of crickets and croaking frogs from the lotus pond fill the air, and the full moon casts a gentle glow, creating a moment where it feels as if we’ve just found the final piece of Boi Tran’s intricate puzzle.